Schreibstube

Transformation mit Felicity

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Tern Cottage, Findhorn

Ich bin nach Findhorn gereist, um dort für mein Buch zu recherchieren. Das Cottage, das mir auf Anhieb am besten gefallen hat, gehört einer äusserst sympathischen Lady, die zufällig auch Gesangslektionen erteilt. Ich habe vorab auf ihrer Webseite „The Confident Voice“ ein wenig geschnuppert. Und weil ich finde, man kann immer noch etwas hinzu lernen, habe ich jetzt, wo ich schon mal da bin, die Gelegenheit ergriffen und eine Lektion gebucht.

Ich hatte tags zuvor versucht, ein Gefühl dafür zu bekommen, was sie denn genau unterrichtet. So trafen wir uns für Kaffee und Kuchen im Bakehouse Café, wo sie mir erzählte, dass sie über die Jahre ihre eigene Methode entwickelt habe, wie sie jemanden an seine tiefsten Gefühle heranführt, so dass man sie eben auch auszudrücken vermag. Na ja, gewisse Dinge muss man einfach erleben, man kann sie nur schwer erklären.

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The Bakehouse Cafe, Findhorn

So bin ich nun gespannt, denn ich bin eine begeisterte Grenzgängerin. Ich mag Erfahrungen, die mich über die Grenzen des kontrollierten Seins hinaus führen. Das finde ich spannend. Und das ist heilend. Ich rede hier nicht von Grenzerfahrungen, die durch eine Droge herbei geführt werden. Es gibt andere Methoden, mit denen der Verstand überlistet werden kann und Grenzerfahrungen auf natürliche Weise erlebt werden können. Denn mich begeistern vor allem Methoden und Ideologien, die in die Selbstermächtigung führen. Felicity’s Methode hat zudem mit Stimme und Klang zu tun. Da bin ich als Sängerin natürlich doppelt neugierig.

Jetzt ist es also so weit. Ich stehe in Felicity’s Studio. Es ist für meine Begriffe kalt hier. Sie heize seit Tagen nicht mehr. Es scheint ja die Sonne, meint sie. Die Schotten sind offensichtlich deutlich härter im Nehmen, wenn es um das Wärmeempfinden geht, als wir aus dem Süden. Hier hat der Frühling kaum angefangen, wo hingegen in der Schweiz schon alle Bäume verblüht sind. Ich hätte mich definitiv wärmer anziehen sollen. Nun verschränke ich halt meine Arme vor der Brust. Nicht gerade eine einladende Geste und auch nicht die Haltung, die ich normalerweise zum Singen einnehmen würde. Das muss ich ihr unbedingt erklären, denn ich will nicht, dass sie denkt, ich hätte bereits jetzt eine ablehnende Haltung, noch bevor wir überhaupt angefangen haben.

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Felicity's Studio

Nachdem das geklärt ist, will Felicity mich erst das Atmen lehren. „Die meisten Leute atmen nicht richtig“, sagt sie und ich stimme ihr da völlig zu. Doch ich habe eine klassische Gesangsausbildung und glaube von mir, dass ich schon richtig zu atmen weiss. „Darf ich Dir an den Bauch fassen?“ fragt sie mich. Selbstverständlich darf sie das. Mich nimmt schliesslich auch wunder, ob sie meine Art zu atmen okay findet. Ich soll einmal tief einatmen. Da ich eine solare Atmerin bin, beginne ich erst mit einem tiefen Ausatmen. Dabei drücke ich mein Zwerchfell nach oben und presse so alle Luft aus meinen Lungen. Das Einatmen geschieht dann ganz automatisch, indem ich einfach mein Zwerchfell entspanne. „Ah, da geschieht was mit Deinem Bauch“, stellt sie zufrieden fest. Mit meiner Atmung ist anscheinend alles in Ordnung. Es hätte mich auch eher gewundert, wenn dem nicht so gewesen wäre.

Nun erklärt sie mir, dass sie mit der Indischen Skala arbeitet. Also nicht mit C, D, E F, G, auch nicht mit Do, Re, Mi sondern eben der Indischen Skala: Sa Re Ga Ma Pa Dha Ni Sa. Sie erklärt mir, warum sie das Do, Re, Mi weniger mag. Ich verstehe es trotzdem nicht ganz. Denn es handelt sich genauso um eine Ionische Tonleiter, wie das Do, Re, Mi auch. Doch egal, ich lasse mich einfach mal darauf ein. Wir experimentieren etwas mit dieser Tonleiter, um herauszufinden, wo ich mich stimmlich am wohlsten fühle. Ich erlebe erst einmal eine eher typische Gesangstunde, einfach mit dem indischen Sa, Re, Ga.

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Das Potential in den Zwischenräumen

Felicity möchte auch, dass ich mir zwischen den Tönen der Zwischenräume bewusst werde. Ich solle also den Ton von einem zum nächsten ziehen und nicht klare Tonschritte machen. Sie legt ganz besonderen Wert auf eben diese Zwischentöne. Nun, ich kann mir gut vorstellen, dass es da tatsächlich Räume zu entdecken gibt. Das ist ja auch so, wenn man in einer Meditation der „Leere“ zwischen dem Aus- und Einatmen besondere Beachtung schenkt. Mittlerweile bin ich gut eingesungen, die Tonhöhen und -tiefen haben wir ausgelotet und die Zwischenräume vorläufig genug erkundet.

Jetzt deutet Felicity auf ihr indisches Harmonium. Sie spielt nicht auf dem Harmonium, sie betätigt nur den Blasebalg und lässt das Harmonium einen Registerton spielen. So gespielt klingt das Harmonium wie eine Shruti Box. Das Harmonium sei die Mutter aller Klänge, erzählt sie. Ich soll mich für die nächste Übung mit meinen Ohren so nahe wie möglich zum Harmonium beugen. Sie möchte, dass ich in die Schwingung der Klänge eintauche und erst dann, wenn ich es spüre, einen eigenen Ton produzieren. Irgend einen beliebigen Vokal soll ich singen und mit einem der Töne in Harmonie gehen. Es sei egal, ob ich den Grundton oder einen der Obertöne auswähle.

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Indisches Harmonium

Ich lausche also und warte. Dann, als ich spüre, dass sich ein Ton bildet, singe ich ein Aaahhh. Ich wiederhole den Ton, bis ich spüre, dass mein Ton auf der wirklich genau gleichen Schwingung wie der Grundton des Harmoniums klingt.

Jetzt soll ich einen Halbton darüber oder darunter singen, also in eine Disharmonie gehen und ich soll mit diesen Abweichungen spielen.

Das tun wir eine Weile, dann fragt mich Felicity, wie ich mich fühle. Ich beschreibe ein seltsames Gefühl an meiner Oberlippe. „Das ist kein Gefühl, das ist eine Sinneswahrnehmung“, entgegnet sie. „Aber auch gut. Wenn Du nun diesem Gefühl einen Ton geben müsstest, wie würde das klingen?“ Sie bewegt wieder den Blasebalg und der Klang der „Schruti" erfüllt den Raum. Ich gebe also diesem Gefühl einen Ausdruck. Es kommen einige hohe, lachende Klänge aus mir heraus. Ein Ha, ha, ha, als würde ich mich über etwas lustig machen. Ich ermahne mich im Stillen, jetzt auf keinen Fall mein Tun zu bewerten oder die Töne zu analysieren, die ich gerade von mir gebe. Felicity ermutigt mich auch, weiter zu machen, dran zu bleiben und zuzulassen, was aus mir heraus kommt. Dieses hohe, mokierende Lachen verändert sich nach und nach und ich gebe jetzt tiefere Töne von mir. Ich singe ein „Uuuh“ und bin erstaunt darüber, dass nicht mein Ego singt. Etwas singt mich. Und noch tiefer sinkt meine Stimme. Ein „Aaah“ jetzt, als wäre ich endlich irgendwo angekommen, wo’s wichtig ist. Und dann werden meine Töne voller, aber auch trauriger. Ich fühle jetzt eine ganz tiefe Trauer und werde gewahr, dass mir Tränen über die Wangen laufen. Einfach so, ohne dass meine Kehle eng wird. Dann wechselt diese Trauer in eine unbändige Wut. Das alles das drücke ich nur im Klang aus. Abwechselnd Wut und Trauer. Ein Stöhnen und Heulen.

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„Bleib dran, mach weiter so, das ist gut, sehr gut“, sagt Felicity. „Das ist Dein Körper, der zu Dir spricht. Das sind Emotionen, die Du in Deinen Zellen abgespeichert hast, die endlich einen Ausdruck finden. Bleib dabei!“

Als hätte mein Körper auf diese Ermunterung gewartet, klinge ich noch voller, noch wütender, noch frustrierter, noch trauriger. Ich überlege nicht, woher das kommt, ich lasse einfach zu, was aus mir heraus will. Felicity führt mich immer tiefer in diese Erfahrung hinein, unterstützt und ermutigt mich, jetzt auf keinen Fall aufzuhören. Sie weiss, dass gut ist, was gerade geschieht. Und ich weiss das auch. Meine Atmung ist tief und meine Töne klingen voll und lange. Endlich bekommen all meine Enttäuschungen aus meinem bisherigen Leben eine Stimme. Ich werde gehört. Meine „negativen“ Gefühle dürfen sein. Ich heule und gebe Töne von mir, die ich noch nie von mir gehört habe, die noch nie jemand von mir gehört hat! Und noch immer fliessen Tränen aus meinen Augen. Ich lasse meinen Körper so lange sprechen, wüten und trauern bis irgendwann gut ist.

Ich bin voll eingetaucht und darüber hinaus gegangen, ich hab’s gefühlt, habe es voll und ganz ausgelebt. Jetzt fühle ich mich zwar ausgepowert, aber auch ruhig und so klingen nun auch meine Töne. Ich singe leiser, zufriedener, fast lieblich. Und somit ist der Moment gekommen, die Übung für heute zu beenden. Ein letzter Seufzer und dann ist Stille. Das war gerade eine unglaubliche Erfahrung! Danke Felicity! Ich bin überzeugt, dass ich in den nächsten Tagen einige Überraschungen erleben werde. Da wurde viel hervor geholt, das nun angeschaut und neu sortiert werden kann.

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Ich bin selber Coach und habe ebenfalls eine tolle Methode, Menschen in ihre tiefsten, verdrängten Gefühle hinein und durch sie hindurch zu führen, um so negative Erfahrungen zu transformieren, doch so etwas habe ich noch nie erlebt! Sicher war es ein Geschenk, dass ich als Sängerin nicht erst an meine Stimme herangeführt werden musste und auch, dass ich mich nicht scheue, in unbekannte Bereiche vorzudringen. Doch dass ich so schnell an so tiefe Gefühle herankommen würde, hätte ich nie gedacht. Und all das, ohne dass ich mich auch nur eine Sekunde mit einer Geschichte aus meiner Vergangenheit beschäftigen musste.

Nach meiner Erfahrung geschieht wahre Transformation im Gefühl, nicht im Verstand. Denn wenn man die Geschichten erzählt, die zu einem Schmerz oder einer Wut geführt haben, so kommt man wohl einmal mehr an die damit verbundenen Gefühle heran, doch dummerweise hat man die Gefühle auch ein weiteres Mal mit Bildern, womöglich mit Wertungen, auf alle Fälle aber mit einer Story gefestigt. Erzählen tut man mit dem Verstand.

In dieser Session mit Felicity habe ich zwei Dinge gelernt: „Es reicht nicht immer, in die verdrängten Gefühle hinein und hindurch zu gehen. Es braucht manchmal jemanden, der es mit erlebt und die Transformation bezeugen kann. Es ist auch schwierig, alleine so tief vorzudringen.

Felicity
Felicity Bingham-Hope

Wenn mich nun jemand fragt, was genau sich nun transformiert hat, kann ich ihm oder ihr leider keine genaue Antwort geben. Diese Form von Transformation manövriert ja völlig an jeder Geschichte vorbei. Doch während ich diese Wut und diese tiefe Trauer spürte, musste ich an die unterschiedlichsten Situationen denken, in denen ich mich verraten und zurückgewiesen gefühlt hatte. Der Schmerz glich den Erfahrungen in Beziehungen, in denen ich naiv und offen geliebt hatte und dann zu irgend einem späteren Zeitpunkt zurückgewiesen wurde, dann, wenn meine Liebe, ja ich selbst nicht mehr erwünscht gewesen war.