Schreibstube

Du darfst Dich goldener Fuchs nennen

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Ein Heiltraum oder eine weitere Möglichkeit, wie man zu einem Krafttier kommt


Vorgeschichte: 2009 wurde ich als Notfall wegen einer schweren Lungenentzündung mit kollabierter Lunge ins Spital eingeliefert. Als ich nach einer Notoperation wieder aufwachte, wurde ich durch einen Luftröhrenschnitt künstlich beatmet, konnte nicht sprechen, wurde über eine Magensonde ernährt und durfte über den Mund weder ...

Essen noch Flüssigkeit zu mir nehmen. Eiswürfel schlecken war erlaubt. Dieser Heiltraum kam zu mir, als ich fand, es sei nun an der Zeit die Intensivstation zu verlassen. Doch vor allem kam er zu mir, als ich entschied, die Verantwortung für meine Heilung selber zu übernehmen.

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Ich bin ein kleiner Wolfswelpe und wusle im Garten eines Restaurants herum. Das Restaurant ist zwar geschlossen, doch im Garten sitzen acht Indianer im Kreis auf niedrigen Hockern aus Baumstämmen. Und ich weiss, der älteste der Medizinmänner heisst White Eagle. Plötzlich schlägt sich White Eagle mit der flachen Hand gegen die Stirn. Ich finde das lustig und will das auch. Erwartungsvoll setze ich mich vor White Eagle hin. Da schlägt er auch mir mit der flachen Hand gegen meine Stirn. Sofort ist es stockfinster. Ich bin leicht verstört, da höre ich White Eagle sagen: „Nun, da Du nicht mehr sehen kannst, wirst Du vielleicht zuhören können, kleiner Wolf.


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Wen glaubst du eigentlich zu täuschen, mit den vielen Eiswürfeln, die du schleckst? Wenn du es nicht schaffst, mindestens drei Tage auf

zu gehen, dann kann es noch lange dauern, bis du von deinen Schläuchen befreit wirst. Die nächsten drei Tage keine Eiswürfel mehr! Lass dir auch keinen Tee mehr über die Magensonde einflössen. Wenn du Durst hast, dann lass dir Wasser über die Sonde geben. Eiswürfel, aber auch Tee machen alles nur schlimmer. Wenn es unbedingt sein muss, dann trink halt heimlich beim Zähneputzen etwas Wasser. Und lass dir regelmässig die Kanüle säubern und auswechseln.

Wenn Du deine Visionssuche erfolgreich überstanden hast, sollst du goldener Fuchs heissen“.

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Nach diesem Traum staunten die Pfleger, weil ich plötzlich keine Eiswürfel mehr verlangte. Wenn ich Durst hatte, wünschte ich, sie mögen mir Wasser über die Magensonde einflössen. Mir viel auf, dass es wohltuend war und mir immer mal wieder die Atmung erleichterte, wenn ich die Kanüle regelmässig säubern liess. Ich hatte immer noch das Gefühl, dass man mich nicht so lange selbständig atmen liess, wie ich selber wollte. Beim Zähneputzen trank ich heimlich ein paar Schlucke Wasser. Ich wusste nicht, was in drei Tagen geschehen konnte, das mich hier raus brachte, doch ich fühlte mich wieder getragen. Diese drei Tage wollte ich einfach den Fokus halten. Ich war ja stumm, da ist Fokus halten gar nicht mal so schwierig. Die Atemmaschine stellte sicher, dass ich mein Schweigegelübde hielt.

Es war der dritte Tag nach dem Traum mit White Eagle. Bei der Visite wieder das gleiche Lied. Der Pfleger meinte, ich mache ja sooo grosse Fortschritte. Die Ärztin meinte, irgendwann nächste Woche, wenn überhaupt, wäre der früheste, mögliche Termin um sich zu überlegen, ob wir die künstliche Beatmung einstellen wollen. Die Ärzte hatten mich bereits verlassen und setzten ihre Visite fort. Nichts war geschehen. Und wegen des kommenden Wochenendes würde sich die nächsten Tage auch nichts an meiner Situation ändern. Ich kämpfte darum, trotzdem nicht enttäuscht zu sein. Ich konzentrierte mich beharrlich darauf, dass ein Wunder geschehen möge. Die Alternative war einfach zu schmerzhaft. Mein Traum hatte mir mehr versprochen und wie ich es in meinem Traum gelernt hatte, verlangte ich, dass meine Kanüle gesäubert werden soll.

Da ging einer der Oberärzte nochmals an meinem Zimmer vorbei. Er hatte wohl etwas vergessen und schaute noch einmal zu mir herein, dabei sah er, wie gerade meine Kanüle gereinigt wurde. Sofort kehrte er wieder um, eilte dem Pulk der Ärzte hinterher und ich hörte, wie er meine Oberärztin fragte: „Hast du gewusst, dass die Frau Göschel nur eine Sechser-Kanüle hat?“
Was?!“ hörte ich sie antworten, „nur eine Sechser-Kanüle? Dann muss die Frau natürlich sofort von den Schläuchen“. Sofort sollte zwar noch einige Stunden dauern, aber ich hatte es geschafft! Ich sollte endlich von allen Kathetern, Sonden und Kanülen befreit werden. Ich nannte mich insgeheim „goldener Fuchs“.

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